Ziehleisten – hübsch verpackte Manipulation oder doch ein hilfreiches Therapietool?

Ein differenzierter Blick auf eine altbekannte Methode

Ziehleisten – sie kommen in vielen Therapieräumen zum Einsatz. Manchmal bunt, mit kleinen Bildchen. Manchmal nüchtern, mit Kästchen zum Ziehen. Sie sollen motivieren, Verhalten sichtbar machen, Kinder „zum Ziel“ führen. Doch was steckt wirklich hinter dieser Methode? Und wann wird aus der vermeintlich harmlosen Unterstützung ein manipulativer Mechanismus, der mehr schadet als hilft?

Zwischen Struktur und Steuerung – wo fängt Manipulation an?

Ziehleisten können ein wertvolles Tool sein. Dann nämlich, wenn sie vom Kind selbst mitgestaltet werden. Wenn es darum geht, ein eigenes Ziel sichtbar zu machen, sich selbst zu reflektieren und ein Gefühl für den eigenen Prozess zu entwickeln. Ohne Lob. Ohne Strafe. Ohne „Wenn-Du-Das-machst-dann-passiert-Das“-Logik.

In solchen Momenten wird die Ziehleiste zu einem reinen Feedbacksystem – ein Spiegel, statt einer Fernbedienung.

Doch zu oft wird sie als Steuerungsinstrument genutzt. Als subtile Form von Macht. Als Belohnungsfalle oder als Druckmittel. „Ich ziehe, wenn du nicht gerade sitzt.“ Auf der einen Seite wartet das Spiel, auf der anderen Seite keins. Und genau da wird es kritisch.

Psychische Gewalt getarnt in scheinbarem Erfolg

Wenn ein Kind nicht mehr aus innerem Antrieb handelt, sondern weil es einen Sticker, das Spiel oder einen Punkt will – oder Angst hat, dies nicht zu bekommen – dann ist das keine Motivation, dann ist das Manipulation.

Die renommierte Entwicklungspsychologin Ellen Winner bringt es auf den Punkt:

Exzessive externe Kontrolle und Druck führen zu einem Rückgang von intrinsischer Motivation.

Was bedeutet das? Je mehr ein Kind durch äußere Reize gesteuert wird, desto weniger wird es seinem inneren Ruf folgen. Es verlernt, sich selbst zu spüren. Eigene Bedürfnisse, Neugier, Interessen – alles wird nach außen verlagert. Was bleibt, ist eine stille Leere, die oft erst Jahre später ihren Preis zeigt.

Explorieren ist kein Umherirren – es ist Forschung auf Kindniveau

Unsere Gesellschaft liebt Ergebnisse. Schnelle Fortschritte. Klare Ziele. Und Ziehleisten füttern genau dieses System.

Doch Kinder sind keine kleinen Maschinen, die man „zielgerichtet“ optimieren kann.
Sie sind Forscher:innen. Abenteurer:innen. Weltentdecker:innen.

Und ja, das sieht manchmal aus wie Chaos. Wie Umherirren.
Doch genau diese Phase ist essenziell!

Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass das Explorieren – das scheinbar ziellose Ausprobieren – zu den bahnbrechendsten Ergebnissen führt. In der Wissenschaft. In der Kunst. Und auch in der Entwicklung von Kindern.

„Aber die Ziehleiste ist doch nur zum Besten des Kindes!“, höre ich einige Therapeut:innen in meinem Ohr. Ist sie das wirklich oder formt sie das Kind nur so, um in einer Gesellschaft zu funktionieren?

Ziehleisten brauchen einen Wertecheck

Ziehleisten sind nicht per se schlecht. Doch ihr Nutzen steht und fällt mit der Haltung, mit der sie eingesetzt werden:

  • 🌱 Wurde das Ziel vom Kind selbst gewählt – oder vom Erwachsenen vorgegeben?

  • 🌱 Dient die Leiste dem Kind – oder der Steuerung durch Erwachsene?

  • 🌱 Gibt sie Raum für Exploration – oder bewertet sie nur Ergebnisse?

Wenn wir ehrlich hinsehen, merken wir schnell: Viele Ziehleisten dienen nicht dem Kind. Sondern der Beruhigung unseres eigenen Kontrollbedürfnisses – und vielleicht auch unserem Therapeut:innen Ego, welches schnelle Erfolge erzielen will.

Und jetzt?

Spür rein, schau hin und sei ehrlich mit dir. Wie setzt du Ziehleisten und Belohnungssysteme ein?

Vielleicht spürst du beim Lesen schon ein Ziehen. Ein inneres „Ertappt – aber was dann?“

Dann möchte ich dich einladen, genau dort tiefer zu forschen.
Was, wenn es andere Wege gibt? Wege, die Kinder in ihrer Kraft lassen, statt sie zu lenken?

Neugierig, wie ein alternativer Weg aussehen kann?
Dann komm morgen Abend zu unserer Ideenwerkstatt „Kinder bedürfnisorientiert begleiten“ dazu.

Lass uns gemeinsam hinschauen, hinterfragen, neu denken.

Denn wir sind nicht hier, um alte Pfade nachzulaufen.
Wir sind hier, um neue Wege zu bauen. Die passen. Für dich. Für die Kinder. Für das Leben.

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